Lernen in komplexen Szenarien: Das Planspiel Schulalltag

Szenario: Die Lehramtsstudentin / der Lehramtsstudent hat studiert, reflektiert, gelernt und Klausuren bestanden und dann kommt die erste Schulstunde und alles ist ganz anders als in den Büchern. Die volle Komplexität des Lehrberufs schlägt auf einmal zu: Da sitzen lebendige Schüler und Schülerinnen, die unterschiedliche Vorkenntnisse haben, in einer Klasse, sie bringen unterschiedlich viel Bereitschaft mit, sich zu interessieren, sich anzustrengen, sie haben unterschiedliche Gefühle, wenn sie an Schule und die Aufgaben, an die Mitschüler und Mitschülerinnen und - nicht zuletzt über sich („Bin ich cool?”) nachdenken; dann gibt es die Schüler und Schülerinnen, die sich nicht konzentrieren können oder mögen, diejenigen, die ihre Noten schon „sicher” haben und diejenigen, die sowieso schon lange nicht mehr glauben, dass sie durch eigene Anstrengung etwas ändern können, ganz abgesehen davon, dass es viel wichtiger ist, sich mit der Freundin über die neusten Entwicklungen in Sachen Freundschaften auszutauschen.

Planspiel "Schulalltag" (Quelle: Thomas Hartmann)
Planspiel "Schulalltag" (Quelle: Thomas Hartmann)

Dem steht die (zukünftige) Lehrerin gegenüber, die überrascht ist, wie aufgeregt sie ist, das Herz schlägt bis unter die Halskrause, der Mund wird so komisch trocken und man fühlt sich von den vielen Augenpaaren beobachtet und gescannt. Während man die Aufgabe erklärt, hören einige nicht zu, fragen nach, was man eben gerade mitgeteilt hat, man schaut auf die Uhr, Zeit verfliegt, man fängt an sich zu ärgern, gibt eine knappe Antwort, fühlt, dass sich die Flecken am Hals zeigen und wünscht sich, man könnte gerade nochmal von vorne anfangen, verheddert sich im Satz. Über die Kriterien für effiziente Klassenführung hatte die Lehrerin unter dem Stichwort classroom management sogar ein Referat gehalten - Und dabei haben wir von allen anderen Dingen noch gar nicht näher gesprochen, die Eltern, die nachher in die Sprechstunde kommen, weil sie mit einer Note ihres Sohnes nicht einverstanden sind, die anstehende Sitzung über die versetzungsgefährdeten Schüler und Schülerinnen der 10b und die Mahnung des Schulleiters im Hinterkopf, dass Klassen zusammengelegt und der Zusammenhang zwischen Bildungsstand der Herkunftsfamilie und Schulerfolg in Deutschland so hoch ist, dass es nicht so bleiben sollte. Und dann soll die Inklusion auch noch kommen! So kommt es, dass Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht Verhaltensweisen zeigen, von denen sie im ruhigen Gespräch jederzeit sagen würden, dass sie diese weit von sich weisen.

Planspiel "Schulalltag" (Quelle: Thomas Hartmann)
Planspiel "Schulalltag" (Quelle: Thomas Hartmann)

Kurz: Unterricht organisieren ist eine komplexe Aufgabe, die zusätzlich dadurch charakterisiert wird, dass stets Emotionen mit im Spiel sind. Wir wissen von Emotionen, dass sie das Nachdenken, Problemlösen und Handeln beeinflussen. Fühlen sich Menschen gut und sicher, entspannt und wertgeschätzt, kommen sie zu qualitativ und quantitativ anspruchsvollen Lösungen. Zu Kurzschlüssen und wenig nachhaltigen Problemlöseversuchen kommt es, wenn negative oder unerwartete Emotionen im Spiel sind. Denn: Fühlen sich Menschen wütend, ängstlich, unsicher, bedroht oder gelangweilt, wird die Lösung eines anspruchsvollen Problems kaum befriedigend gelingen. Aus der Forschung weiß man, dass Menschen, die erfahren und gelernt haben, ihre Emotionen zu erkennen und zu regulieren, zu besseren Problemlösungen gelangen.

Das Planspiel ist eine innovative Methode, diese Emotionen zugänglich zu machen und zu bearbeiten, zu erkennen, wie und welche Emotionen in komplexen Situationen entstehen, welche Konsequenzen sie haben, und welche Handlungs- und Regulationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dieses Handlungswissen läßt sich nicht aus Büchern und Texten lernen, sondern erfahrungsbasiert. Genau dies geschieht in der Planspielmethode. Dort werden einerseits ausführliche eigene Erfahrungen zusammengetragen und im Anschluss ausgewertet. Dabei kommen theoretische und empirische Befunde der Psychologie zum Tragen. Ziel der Veranstaltung ist es, Dimensionen der eigenen und fremden Emotionen wahrzunehmen, Handlungsrepertoire zu erweitern und Möglichkeiten der Emotionsregulation kennenzulernen und auf ihre Wirkung auszuloten.